Kulturfibel

In einem intensiven gemeinsamen Prozess haben die Mitglieder der Gemeinschaft 2017 eine Kulturfibel erarbeitet, die die Kultur des Zusammenlebens und -arbeitens in den unterschiedlichen Bereichen der Gemeinschaft beschreibt. Sie dient als Ergänzung zu den Leitsätzen (Leitbild) der Gemeinschaft.

Bild: Heike Cimander

1. Anthroposophie

Die Gemeinschaft Altenschlirf versteht sich als eine Schicksalsgemeinschaft auch im Sinne einer erweiterten biographischen Verbundenheit aller in ihr wirkenden Menschen. Dabei dient das anthroposophische Menschen- und Weltbild als lnspirationsquelle und Grundlage für die sich aus diesem Selbstver­ ständnis ergebenden sozialtherapeutischen Ansätze und Handlungen.

Die Vermittlung und die Weiterentwicklung dieser Grundlagen ist Aufgabe der Gemeinschaft und wird auch durch die in der Gemeinschaft gepflegten Kultur und die künstlerischen, religiösen und wissenschaftlichen Angebote sichtbar und geleistet. Diese sollen als eine Bereicherung für die persönliche Entwicklung erlebbar werden und können daher wie die erkenntnis­ theoretische Arbeit und die Selbstschulung nur aus freier Entscheidung und selbstverantwortet ergriffen werden. Die Gemeinschaft kann hierbei nur unterstützend wirken, erfüllt aber ihre Ziele umso besser, je mehr ihrer Mitglieder diese Grundlagen verstehen, aufgreifen und weiterentwickeln.

Bild: Heike Cimander

2. Achtsamkeit – Meditation

Eine der Voraussetzungen für die gemeinsame und die individuelle Entwick­ lung ist die Achtsamkeit. Darunter verstehen wir die bewusst eingesetzte Fähigkeit, Tätigkeiten und Qualitäten der Mitmenschen und der Umwelt und sein eigenes Wirken wahrzunehmen, zu erkennen und zu reflektieren. Dieses hilft, die eigenen Handlungen besser zu verstehen und den kommuni­ kativen Austausch qualitativ zu verbessern, und kann durch Übungen wie Reflexion und Tagesrückblick geschult und gefördert werden. Achtsamkeit ist eine der Grundlagen für die Selbstschulung z. B. in Form der Meditation oder meditativer Übungen und somit eine Kraftquelle.

Bild: Heike Cimander

3. Dialog – Team – Kollegium

Das Gespräch, der Dialog, ist gleichzeitig ein Kommunikationsmittel und ein Übungsfeld in der sozialen Kunst, denn Wertschätzung des Gegenübers, Vertrauen schenken, das Berücksichtigen der individuellen Fähigkeiten und das Zurückstellen der eigenen Intentionen sowie die Vereinbarungstreue sind Entwicklungsziele in jeder Beziehung. Unterstützt durch eine teilnehmerorientierte Gestaltung und eine bewusste Teilnahme können dann Treffen, Konferenzen und Versammlungen sowohl als zielführend im Sinne der Ergebnisorientierung als auch als kraftspendende Begegnungen erlebt werden.

Bild: Heike Cimander

4. Biographiearbeit

Ein kulturelles Miteinander entwickelt sich, wenn es aus dem Interesse am Gegenüber getragen wird. Es wirkt besonders dann befruchtend, wenn ein Verstehen und Wertschätzen der persönlichen und individuellen Motive, Ziele, Erfahrungen, Fähigkeiten, Entwicklungspotentiale und Einschätzungen gegeben ist.

Der Erkundung dieser dient die Biographiearbeit und ein gemeinsamer Austausch darüber, zum Beispiel in Form der Standort- und Mitarbeitergespräche. Ziele dabei sind ein Verständnis für den Lebensweg, die Klärung der persönlichen Intentionen zu entwickeln und soweit möglich, gemeinsame Ziele zu finden und zu vereinbaren. Grundlage der Fragestellungen in dieser Arbeit ist die anthroposophische Menschenkunde (Jahrsiebte, Mondknoten, Lebenskurve vom Lebensanfang bis zum Lebensende) und die Anerkennung des „Expertentums in eigener Sache”.

Die Anerkennung und Wertschätzung des Anderen äußert sich auch in der Form des Gespräches und der Gestaltung des Zeitrahmens und des Gesprächsortes, welche sehr zum Gelingen des Austausches beitragen kann. Diese Form der Betrachtung der eigenen Biographie ist für jeden in der Gemeinschaft lebenden und/oder arbeitenden Menschen sinnvoll, geeignet und anzustreben. Voraussetzung dafür ist eine Toleranz für andere Lebensentwürfe und eine auf gegenseitigem Respekt beruhende Fehlerkultur.

Bild: Heike Cimander

5. Therapie

Zur Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung sorgt die Gemeinschaft für ein den Notwendigkeiten entsprechendes therapeutisches Angebot.

Dafür stellt die Gemeinschaft geeignete Räume für Ärzte und Therapeuten bereit. Im Sinne des ganzheitlichen Ansatzes sollte bei den behandelnden Ärzten und fachlich-qualifizierten Therapeuten nicht nur der Patient, sondern auch sein Umfeld bekannt sein und bei der Behandlung beachtet werden.

Darüber hinaus wünscht sich die Gemeinschaft einen regelmäßigen Austausch mit den Therapeuten und Ärzten über die menschenkundlichen Grundlagen ihrer Arbeit und die therapeutischen Ansätze. Dadurch wird ein ganz auf den Patienten abgestimmtes Therapieprogramm ermöglicht, bei dem auch die therapeutischen Beiträge von Arbeit, Wohnen und Freizeit berücksichtigt werden.

6. Wohnen

Das Zusammenleben in den Hausgemeinschaften und anderen Wohnformen ist eine tägliche Übung der sozialen Künste. Die Kultur des Miteinanders zu pflegen ist daher eines der Hauptanliegen der Gemeinschaft. Gleichzeitig wird angestrebt, dass durch eine der persönlichen Entwicklung ent­ sprechenden Wohnform und Form des Zusammenlebens, es jedem möglich ist, sich gleichzeitig als Individualität und als Teil einer Lebens­ gemeinschaft zu erleben.

Unterstützt wird dies durch klare miteinander abgestimmte Strukturen und Rhythmen sowie einen wertschätzenden Umgang miteinander (Höflichkeit, Pünktlichkeit und Rücksicht). Dies zeigt sich auch durch eine ästhetische Gestaltung von Räumen, Gebäuden und Flächen. Gleichzeitig helfen diese äußerlich wahrnehmbaren, Hüllen gebenden Formen bei Entwicklung von Fähigkeiten im Umgang mit sich selbst und mit anderen.

7. Arbeitsleben

Die Teilnahme am Arbeitsleben und damit auch am Wirtschaftsleben ist für jeden Menschen ein entscheidender Faktor für die Zufriedenheit im Leben und dient der Entwicklung der Selbstständigkeit, des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls. Dafür notwendig ist auch ein Erleben des eigenen Beitrages zum Produkt oder der Leistung, insbesondere dadurch, dass die Ergebnisse der Arbeit gebraucht, gewünscht und gefragt sind. Die tägliche gemeinsame Arbeit in den Werkstätten und Hausgemeinschaften hilft darüber hinaus auch beim Erüben von sozialen Künsten wie Zusam­ menarbeit, Helfen und Helfen lassen, Gesprächs- und Kommunikationskultur.

Die Gemeinschaft Altenschlirf legt bei der Produktion und den Dienst­ leistungen Wert auf die Pflege und Förderung der “handwerklichen Tugenden” (Zuverlässigkeit, Qualität von und Achtung vor Rohstoffen, Werkzeugen und Produkten) und einen gesunden Umgang mit Mensch und Erde, wie er auch in der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise zum Ausdruck kommt. Unterstützend wirkt dabei die Pflege und Einhaltung von Tages-, Wochen und Jahresrhythmen. Über die eigentliche Produktion hinaus vermitteln die Werkstätten den kulturellen Impuls der Gemeinschaft durch kulturelle Bildung in den Bereichen Wissenschaft (Fachkunde, Fortbildungen, Michaeli-Kolleg), Religion (Beteiligung an der Gestaltung der Jahresfeste z.B. Karwoche, Johanni oder Erntedankfest) und Kunst (Produktgestaltung, künstlerische Therapien, Raumgestaltung etc).

Bild: Heike Cimander

8. Ausbildung

Die dualen Ausbildungen in der Gemeinschaft dienen nicht nur dem Erlernen eines Berufes und dem Erlangen von beruflicher Fachlichkeit, sondern bieten auch die Möglichkeit, durch Mit-er-leben dem Lebens­ gemeinschaftsgedanken als einer Form der Inklusion näher zu kommen und die Ansätze und Grundlagen der anthroposophischen Sozialtherapie kennenzulernen. Gleiches gilt auch für Praktika und Freiwilligendienste.

Die Aus-, Fort und Weiterbildungen dienen neben der fachlichen Qualifikation immer auch der Selbstentwicklung. Da dieser Prozess die Gemeinschaft bereichert, aber nie abgeschlossen ist, unterstützt die Gemeinschaft eine Kultur des lebenslangen Lernens, unter anderem durch eigene Fortbildungsangebote zu den anthroposophischen Grund­ lagen, fachspezifischen Fragen und gesellschafts- und sozialpolitischen Entwicklungen. Dies erfordert ein gemeinsames Abspüren und Abwägen der individuellen Bedürfnisse und institutionellen Notwendigkeiten und somit eine geregelte Koordination der verschiedenen Angebote.

Bild: Heike Cimander

9. Bildung

Ein Verständnis für die Anwendung von Wissenschaft, Religion und Kunst helfen Zusammenhänge in der Welt erkennen, begreifen und nutzen zu können. Daher ist nicht nur die Vermittlung von theoretischen Informationen, sondern auch die von ganz praktischem Handlungs- und Herstellungs­ wissen und dessen Anwendung im Alltag Ziel unserer ganzheitlichen Erwachsenenbildung. Diese erfolgt neben dem im Alltag gepflegten Aus­ tausch über tagesaktuelle, künstlerische, religiöse und natur- und geistes­ wissenschaftliche Themen auch in Form von möglichst inklusiven, diese Inhalte vertiefenden Kursen, Seminaren und Fortbildungen.

Bild: Heike Cimander

10. Ethik – Spiritualität – Religion

Die spirituelle und ethische Bildung durch Vorträge, Besichtigungen von Kultstätten, Besuche von Gottesdiensten und Zeremonien (auch anderer Glaubensrichtungen) unterstützt neben der Vermittlung christlicher Werte und einer ethischen Grundhaltung auch eine Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem Sinn des Lebens und den zeitgemäßen Formen des sozialen Miteinanders in der Gemeinschaft und der Gesellschaft.

Die Pflege des religiösen Lebens ist neben der von Wissenschaft und Kunst ein wesentlicher Bestandteil des erlebbaren kulturellen Impulses der Gemeinschaft. Sie zeigt sich sowohl in einer bewussten Tagesbegleitung durch Tischgebete und Werkstattsprüche als auch in der bewussten Gestaltung von Wochen- und Jahresfesten. Eine besondere Stellung nehmen dabei die wöchentlich stattfindenden Evangelienabende und Morgenfeiern ein.

Bild: Heike Cimander

11 . Künstlerische Angebote

Jede künstlerische Tätigkeit erfordert und fördert gleichzeitig Wahrnehmung, Wissen, Vorstellung, Kreativität und Intuition, aber auch Übung, Ausdauer und Entwicklung. Künstlerische Angebote bieten daher neben Wissenschaft und Religion eine weitere Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt. Gleichzeitig befruchten die bildenden, musischen und darstellenden Künste die sozialen Fähigkeiten und werden von diesen befruchtet. Daher soll es jedem in der Gemeinschaft Tätigen möglich sein, künstlerisch aktiv zu werden und sich mit Materialien und Techniken auseinander zu setzen (z.B. in Kursen, Projekten und Werkstätten).

12. Veranstaltungen

Zur Anregung und Stärkung des kulturellen Impulses bietet die Gemeinschaft Altenschlirf die Möglichkeit zum Erleben von künstlerischen, religiösen und wissenschaftlichen Prozessen in Veranstaltungen (Konzerte, Aufführungen, Ausstellungen, Vorträge etc.). An der Auswahl der Angebote können alle in der Gemeinschaft Tätigen mitwirken. Kriterien für die Auswahl sind Vielfalt, Zeitgemäßheit und Wirkung in Form der Anregung des eigenen individu­ ellen Strebens. Die Veranstaltungen der Gemeinschaft Altenschlirf sind auch offen für Interessierte aus der Region, so dass durch das gemeinsame Kunsterleben Begegnungen auf gleicher Augenhöhe möglich werden und
diese damit zur Verwirklichung von Inklusion beitragen.