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Im dritten Teil der Serie zu den Leitsätzen der Kulturfibel der Gemeinschaft geht es um die Frage, welche Fähigkeiten nötig sind, damit Kommunikation gelingen kann.
Von Jörg Bowinkelmann
„Alle Formen der Kommunikation sollen auf das Interesse am und Wertschätzung des Gegenübers beruhen und die individuellen Fähigkeiten der Beteiligten berücksichtigen.“
Der dritte Satz unserer Kulturfibel handelt von Kommunikation und Wertschätzung, die wir unserem Gegenüber entgegenbringen wollen. Dazu fällt mir diese bekannte jüdische Parabel ein:
Ein Rabbi kommt zu Gott: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ – „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand. Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf. Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen. Das herrliche Essen ist nicht zu genießen. Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“ fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.
Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf. Aber – ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen. Da weiß der Rabbi, wo er sich befindet.
Kommunikation lässt sich ableiten aus den lateinischen Worten Communis Care. Communis kann für Allgemeinheit oder Gemeinsames stehen, Care für Pflege. Diese beiden Begriffe können wir unserer gesamten Tätigkeit bei der Gestaltung von Beziehungen und daher auch in der Gemeinschaft Altenschlirf zu Grunde legen. Jeden Tag stehen wir in der Verantwortung, etwas Gemeinsames zu pflegen. Was das sein kann, müssen wir uns immer wieder auf Neue vor Augen führen. Denn jeder Mensch ist jeden Tag derselbe Mensch wie gestern, aber auch ein neuer Mensch, mit neuen Erfahrungen, die er zuvor gemacht und die ihn verändert haben. An oberster Stelle steht das Interesse, das wir aufbringen müssen, um den anderen zu verstehen. Das kann ich aber nicht, wenn ich nur aus meinem Blickwinkel schaue. Ich habe dazu einen interessanten Abschnitt eines Vortrags von Rudolf Steiner gelesen, den er 1922 im Rahmen des Pädagogischen Jugendkurses („Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation“, GA 217) gehalten hat:
„Es kommt darauf an, dass man einen gesunden Willen und ein gesundes Herz hat, um die Welt von jedem Standpunkt aus betrachten zu können. Aber die Menschen wollen nicht das, (…), sondern wichtiger ist ihnen die egoistische Behauptung ihrer Standpunkte. (…) Näher kommt man sich, wenn man seine verschiedenen Standpunkte in eine gemeinsame Welt hineinzustellen weiß.“
Wir stehen mit allem, was uns als Persönlichkeiten ausmacht voreinander und treten miteinander in Kontakt. Dabei können wir uns nicht vor dem anderen verstecken. Ob ich mich mit Worten auszudrücken versuche oder stumm bleibe: So, wie ich mich verhalte, rede, schweige, wie ich mich kleide – alles wird von meinem Gegenüber wahrgenommen. Wir interpretieren alles Gesehene und Erfahrene. Wir müssen es tun, weil wir alles, was uns von außen entgegenkommt, einschätzen und beurteilen. Verhaltensforscher nennen das „angeborene Verhaltensmuster“. Diese stammen zum Teil noch aus der Zeit, als Menschen in Höhlen lebten und täglich in der Wildnis Nahrung jagen, aber auch vor Feinden fliehen oder mit ihnen kämpfen mussten. Da brauchten wir zum Überleben eine schnelle Einschätzung: Wird der/das andere mir gefährlich? Muss ich um mein Leben bangen?
Solche Fragen müssen wir uns heute in der Begegnung mit anderen Menschen zum Glück meistens nicht mehr stellen. Daher brauchen wir für ein Gespräch mit unseren Mitmenschen etwas Anderes: Wir müssen uns selbst überlisten! Unser früher zum Überleben erlerntes Einschätzen muss ein Wertschätzen werden. Eine neue Aufgabe wartet auf uns. Alte Formen, angelerntes Verhalten sollen überwunden und neue Formen des Zueinander-Findens gewonnen werden. Daher hat Rudolf Steiner recht, wenn er von vielen Standpunkten schreibt, die wir lernen müssen einzunehmen, wenn wir ein umfassendes Bild von unserer Welt und unseren Mitmenschen haben wollen. Wir versuchen dabei den Schritt, uns selbst sozusagen wegzudenken, damit der andere in meinem Bewusstsein mehr Platz bekommt.
Sich selbst zu vergessen, um in ein Gegenüber eintauchen zu können, ist natürlich nicht so einfach. Die Erfahrungen, die wir in jede Begegnung mitbringen, sollen uns helfen und nicht im Wege stehen. In der Musik ist es so: Besser mitsingen können jene, die zuerst gut zugehört haben. Groß kann das werden, was ich dort zu hören bekomme – dann wird es mich auch seelisch berühren. Hören ist also erst einmal wichtiger als Singen. Daher können wir versuchen, unsere eigenen Erfahrungen mit dem anderen – gute wie schlechte Erlebnisse – erst einmal beiseitezuschieben und ihm zuzuhören. Es gilt, die richtige Reihenfolge einzuhalten. Wir wollen uns als Menschen, Kolleg:innen, Freund:innen finden, müssen aber gleichzeitig auch vergessen können, um einander bewusst verstehen zu können. Kompliziert, oder?
Mitgefühl und Interesse für den anderen Menschen benötige ich, um in die Welt meines Gegenübers einzutauchen. Dann braucht es Verantwortung für das Gefundene, das Gehörte des Gegenübers. Ich bin verantwortlich für das, was ich sage und für das, was ich höre. Wir müssen vorsichtig mit den Dingen umgehen, die wir sagen und hören. Das ist nicht immer leicht, da es leicht Missverständnisse geben kann. Man kann viel sprechen, aber auch zu viel sprechen. Man kann wenig reden und auch zu wenig reden. Man kann gar nicht sprechen. Wie es auch sei: Immer kommt es darauf an, wie kreativ meine Möglichkeiten sind, dem anderen zuzuhören. Wie einladend kann ich sein, damit mein Gegenüber sich mir öffnen kann? Wie wertschätzend und sicher ist Anvertrautes bei mir aufgehoben und welche Ausdrucksmittel stehen meinem Gegenüber zur Verfügung, sich mir mitzuteilen? All das zusammen macht gelungene Kommunikation aus, all das macht es erforderlich, das Gewicht dabei auf meine Fähigkeiten zu legen: Es kommt auf mich an!
Die langen Löffel in der Geschichte am Anfang weisen darauf hin. Sie sind das Leben, das ist, wie es ist – hier ist es als Löffel viel zu lang für die Münder und Arme der Menschen. Denke ich nur an mich, werde ich vielleicht niemals das köstliche Gericht schmecken können. Erst wenn ich das Bedürfnis meines Gegenübers suche und erkenne, dass auch er oder sie mit dem zu langen Löffel essen möchte, kann die Idee des gegenseitigen Helfens aufleuchten. Das wäre eine Bestätigung der Communis Care, der gemeinsamen Pflege, dass die Welt und die Gemeinschaft, in der wir leben wollen, sich vor allem durch dich, durch mich, durch jeden einzelnen Menschen verwirklichen kann.