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In unserer Reihe zu den Leitsätzen der Kulturfibel geht es diesmal um Teilhabe und Selbstbestimmung. Wie gelingt es uns, ein gutes Verhältnis zwischen unseren individuellen Wünschen und der Rücksichtnahme gegenüber anderen zu entwickeln?
Von Jörg Bowinkelmann
„Die Gemeinschaft bietet Wohnplätze in Hausgemeinschaften an, die die Teilhabe der Bewohner am gesellschaftlichen und kulturellen Leben fördern und die individuelle Selbstbestimmung im Zusammenleben gewährleisten.“
So heißt es im sechsten Leitsatz unserer Kulturfibel. Dazu passt der erste Satz im Artikel 2 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Dieser Satz, im Jahre 1949 festgeschrieben, gilt für alle Menschen in Deutschland und ist von großer Bedeutung: Das Grundgesetz sichert das Recht auf Selbstbestimmung. In gemeinschaftlichen Zusammenhängen wie einer Familie, Hausgemeinschaft oder Partnerschaft betrifft dies das Bedürfnis, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten – allerdings nicht auf Kosten anderer.
Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem ich mich frei bewegen kann und das Recht habe, meine Persönlichkeit frei zu entfalten. Damit diese Entfaltung gelingt, braucht es bestimmte Voraussetzungen, die ich mir idealerweise so vorstelle: Eine intakte Familie, Freunde, die mich unterstützen und wertschätzen, Geld, um meine persönlichen Bedürfnisse zu decken und z.B. an kulturellen Veranstaltungen oder Urlaubsreisen teilnehmen zu können. Ich weiß aber auch, dass nicht alle Menschen auf der Welt so leben können.
Mit meinen Wünschen und Bedürfnissen kann ich mich täglich beschäftigen, ich kann sie jederzeit in meinem Kopf und in meinem Herzen bewegen. Die Frage ist, ob ich diese Wünsche in der Zukunft auch realisieren kann.
Wir haben in der Gemeinschaft Altenschlirf unterschiedlichste Formen gefunden, Menschen an den Entscheidungsprozessen ihrer Selbstbestimmung teilhaben zu lassen. In den Hausgemeinschaften versuchen wir täglich Möglichkeiten zu schaffen, Wünsche und Ziele der eigenen Lebensgestaltung und Persönlichkeitsentfaltung zu verwirklichen. Dennoch: Nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung – das ist im Leben eines jeden Menschen immer wieder ein schmerzhaftes Erlebnis.
Im „Friedenstanz“ von Rudolf Steiner kommt dieses Suchen, aber auch das Wachsen an solchen Erfahrungen deutlich zum Ausdruck:
Es keimen der Seele Wünsche,
Es wachsen des Willens Taten,
Es reifen des Lebens Früchte.
Ich fühle mein Schicksal,
Mein Schicksal findet mich.
Ich fühle meinen Stern,
Mein Stern findet mich.
Ich fühle meine Ziele,
Meine Ziele finden mich. (…)
Das Leben, es wird heller um mich,
Das Leben, es wird schwerer für mich,
Das Leben, es wird reicher in mir.
Jeden Tag wird das Zusammenleben hier in unserer Gemeinschaft aufs Neue geübt. Was selbstverständlich gedacht ist, scheint nur so. Wir alle lernen voneinander und miteinander. Das oben genannte Grundgesetz der freien Entfaltung stellt nur den rechtlichen Rahmen her: Es regelt nicht, wer heute den Abwasch macht, wie ich in meinem Zimmer lebe oder wann ich meinen Hobbys nachgehen darf. Das ist auch gut so.
In der Coronapandemie haben wir so einiges erlebt. Viele von uns durften nach einer Ansteckung mit dem Virus das Haus nicht verlassen, meine Tochter konnte nicht zur Schule gehen. Kein Kino, kein Restaurantbesuch war möglich, Menschen konnten nicht am Arbeits- oder Gemeinschaftsleben teilhaben. Quarantäne wird dieser Zustand genannt.
Hoffentlich brauchen wir bald keine Quarantäne mehr und können unserem Gemeinschaftsleben – nach dem ich mich wirklich sehr zurücksehne – wieder voll und ganz nachgehen, die vielen internen Veranstaltungen und Begegnungen zwanglos und ohne Vorsicht gestalten und genießen. Denn das haben wir durch die Coronapandemie auch gelernt: Wie es sich für uns und Menschen in aller Welt anfühlt, eingeschränkt und fremdbestimmt leben zu müssen.