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Nicht ganz so groß wie New York...

11 Jun 2018

Nicht ganz so groß wie New York...

Lauterbacher Anzeiger, Annika Rausch

ALTENSCHLIRF. „Schön, dass Du da bist“, war auf jedem Gedeck in der feierlich geschmückten Mehrzweckhalle Altenschlirfs zu lesen. Eine kleine Geste, die aber zeigt, mit wieviel Herzblut sich die Bewohner des Ortes zwei Jahre lang auf ihr 1250-jähriges Bestehen vorbereitet haben. Und genauso herzlich war auch die Stimmung während des Festkommers’ am Samstagabend.

„Berlin gibt es mehrmals, New York gibt es mehrere, auch Lauterbach ist öfter vorhanden – doch Altenschlirf gibt es nur einmal, und darauf sind wir ganz besonders stolz“, eröffnete Herbsteins Bürgermeister Bernhard Ziegler den Reigen der Festreden. In seinen humorvollen Ausführungen zog er Parallelen zwischen der Weltgeschichte und der Entwicklung Altenschlirfs. „1618 hatte New York keine 300 Einwohner – Altenschlirf schon“, verriet er dem Publikum in der voll besetzten Halle augenzwinkernd. Und auch wenn der Ort 100 Jahre später – 1918, bei einem weiteren Jubiläum – „mittlerweile etwas weniger Einwohner als New York“ hatte, sei Altenschlirf stets ein „aktives und sehr engagiertes Dorf“ gewesen. Gerne habe die Stadt die Trägerschaft zum Fest übernommen, wobei er betonte, dass die Altenschlirfer „alles andere ganz alleine gestemmt“ hätten. Eine viel gelobte Ansprache hielt Eva Martin, die federführend in der AG Dorfchronik aktiv war, deren Buch an diesem Abend vorgestellt und unter großem Andrang nach dem Kommers verkauft wurde. Da ihre Großeltern, ihr Vater und ihr Onkel schon bei der 1200-Jahr-Feier sehr engagiert mitgeholfen hätten, sei es für sie gar keine Frage gewesen, jetzt selbst aktiv zu werden. Nach einem kurzen Abriss zur Entstehungsgeschichte des Buches betonte sie im Namen ihrer Mitstreiter ausdrücklich: „Ohne die großartige Mithilfe durch Bilder und Informationen wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Dank an eine tolle Dorfgemeinschaft.“ Sie schloss ihre Rede mit einigen persönlichen Ausführungen, die zahlreichen Menschen im Publikum aus der Seele sprachen: Vieles, was sie in den vergangenen 30 Jahren in Altenschlirf kennengelernt habe, gebe es heute nicht mehr. Märkte, Friseur, Post oder Bank seien verschwunden. „Ich vermisse diese Dinge schon. Wie mag es da aber erst älteren Einwohnern gehen, die noch weitaus gravierendere Veränderungen erlebt haben?“ Trotz allem sei aber eines immer geblieben: die starke Dorfgemeinschaft. Wie wichtig diese Gemeinschaft schon immer gewesen und auch weiterhin sei, zeigten nicht nur die in Eigeninitiative errichtete Mehrzweckhalle, sondern auch die „vielen, vielen Helferinnen und Helfern“ im Jubiläumsjahr. „Gerade in der vergangenen Woche war tatsächlich das ganze Dorf auf den Beinen. Es wurde an allen Ecken gewerkelt und gearbeitet. Ein toller und beeindruckender Anblick. Daher an dieser Stelle ein riesengroßes Dankeschön an jede einzelne helfende Hand.“ Das viel diskutierte Thema „Landflucht“ könne sie für Altenschlirf nicht beobachten: Es würden wieder mehr Kinder geboren, junge Familien blieben trotz der nicht immer idealen Infrastruktur. Auch neue Gewerbe hätten sich angesiedelt, was Mut und Durchhaltevermögen erfordere. „Ich hatte in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, viele interessante und entlegene Orte in der weiten Welt zu bereisen. Doch meine Heimat ist und bleibt hier in diesem kleinen Vogelsbergdorf Altenschlirf.“ Natürlich gab es für diesen Schlusssatz noch einen Extra-Applaus des Publikums. „Das war eine berührende und sehr ansprechende Ansprache“, meinte auch Bernhard Greb, stellvertretender Ortsvorsteher, der durch den Abend führte.

Auch Landrat Manfred Görig hob das besondere Engagement der Altenschlirfer Bevölkerung hervor: „New York schafft man nicht mehr ganz – muss man auch nicht, Altenschlirf ist mir viel lieber.“ Denn ein Dorf definiere sich nicht über die Größe, sondern über die Gemeinschaft und über alle Veränderungen, die im Laufe der Zeit angenommen und bewältigt werden müssten. Er lobte die Qualitäten des Vogelsberges und rief im Hinblick auf den Neubau des Finanzamtes in Lauterbach, der eine dreistellige Zahl an Arbeitsplätzen schafft und eine wichtige Dienststelle aus dem Ballungsraum wieder aufs Land holt, in Richtung Landtagsmitglied Kurt Wiegel: „Nach vielen Jahren in die eine sind wir jetzt in die andere, die richtige Richtung unterwegs, gelle Kurt?“ Dieser rief lachend zurück: „Gut Ding will Weile haben.“

Im Hinblick auf die immer wieder kritisierte schlechte Internetanbindung Altenschlirfs versprach der Landrat, der vergangenen Freitag für eine weitere sechsjährige Amtszeit verpflichtet worden war: „Wenn die sechs Jahre rum sind, dann habt ihr Breitband.“ Was vom Publikum mit Lachen und Applaus, und von Bernhard Greb mit der Frage: „Gibt es das auch schriftlich?“, quittiert wurde. „Wenn es nur am Landrat läge, dann wäre es schon längst passiert“, erklärte Görig mit Hinweis auf den Internetanbieter und die aufwendigen Auflagen, mit denen der Kreis seitens Berlin immer wieder zu kämpfen habe.

Besonders freute sich Manfred Görig aber darüber, zu diesem feierlichen Anlass neun Ehrenbriefe des Landes Hessens verleihen zu dürfen. Denn eine tolle Dorfgemeinschaft funktioniere nur, wenn viele ehrenamtliche Helfer sich dafür einsetzten.

Herbsteins Stadtverordnetenvorsteher Erich Rahn, selbst Altenschlirfer, schwärmte ebenfalls von der ausgezeichneten Dorfgemeinschaft: „Großes Werk gedeiht durch Einigkeit. Der Leitspruch hier in der Halle ist eben das, was Altenschlirf ausmacht. Hier ist es schön, hier fühlt man sich wohl.“

Kurt Wiegel, der die Zuhörer als „Ahlenschleerfer“ ansprach und dafür einen Sonderapplaus erntete, meinte: „Dass die Gemeinschaft, die hier stattfindet, bildhaft ist für ganz Hessen – Chapeau!“ Er freue sich schon darauf, die Chronik Altenschlirfs zu lesen, „denn wer nicht weiß, woher er kommt, kann auch die Zukunft nicht gestalten“. Der Vogelsbergkreis wachse und sei sozusagen „auf dem aufsteigenden Ast“. Daher gelte es, alles Gute stets nach außen zu tragen und gemeinsam positiv in die Zukunft zu schauen. „Es hängt nicht immer alles am Internet, sondern auch viel daran, wie wir uns fühlen.“ Frankfurt sei eine wichtige Metropole, doch ohne den Vogelsberg sei diese nichts. Daher sei es wichtig, stets selbstbewusst zur Heimat und ihren vielen Vorzügen zu stehen. Tobias Rädler von der Geschäftsleitung der Gemeinschaft Altenschlirf berichtete, dass seine Einrichtung zwar erst 36 Jahre vor Ort, dennoch nicht mehr aus Altenschlirf wegzudenken sei. „Hier in Altenschlirf begann Inklusion schon damals. Und sie wäre nicht geglückt, wenn der Gedanke nicht ins ganze Dorf hineingetragen worden wäre.“ Gerne gebe die Gemeinschaft daher auch immer wieder etwas an die Dorfbewohner zurück. Denn: „Das hier ist inklusives Gemeinwesen.“

Pfarrerin Heidi Kuhfus-Pithan hob die gute Ortsgemeinschaft ebenfalls in einer schönen Rede hervor. Diana Löffler, stellvertretende Ortsvorsteherin des Nachbarortes Ilbeshausen, betonte die guten Verbindungen beider Ortsteile in einer humorvollen Rede. Und Altenschlirfs Patenkind Annette von Schmeling, geborene Riedesel, gratulierte „ihrem Dorf“ auf das Herzlichste. Zum Schluss der Feier überreichte Bernhard Ziegler im Namen aller Ortsvorsteher noch einen Gutschein für eine Ruhebank an Bernhard Greb, der sich bedankte: „Ich bin sehr stolz auf alle Altenschlirfer. Nur durch den Einsatz aller können wir jetzt zusammen feiern.“ Für die passende Musik rund um das Geschehen sorgten der Musikverein Landenhausen, der Männer-Quartett- Verein sowie der Gemischte Chor Altenschlirfs.

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