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Kommentar zur kleinen Anfrage der AfD

19 Apr 2018

Kommentar zur kleinen Anfrage der AfD

Ein Beitrag der 53° NORD Agentur und Verlag, Informationsdienstleister für die berufliche Teilhabe behinderter Menschen.

Eine kleine Anfrage der AfD an die Bundesregierung von 23. März zum Thema “Schwerbehinderte in Deutschland” schlug in den vergangenen Tagen hohe Wellen.

Die Fragesteller stellten darin einen Zusammenhang her zwischen der Zunahme amtlich anerkannter Schwerbehinderter, der Heirat zwischen Angehörigen als mögliche Ursache für Behinderung und dem Zuzug von Menschen mit Migrationshintergrund. Im Vorspann zu dieser Anfrage wird eine nicht näher belegte britische Studie zitiert, nach der angeblich “60 Prozent der Todesfälle und Erkrankungen hätten vermieden werden können, wenn die Inzucht beendet würde”.

Kleine Anfragen dienen vordergründig dazu, Fakten und Zusammenhänge in Erfahrung zu bringen. Sie sollen aber auch eine bestimmte Sichtweise der Fraktion in den Fokus rücken. In den sechs Fragen der AfDler an die Bundesregierung steckt ein Rückgriff auf eugenische Vorstellungen. Eugenik ist die Lehre von der Erbgesundheit, die nach der Überzeugung ihrer Verfechter Maßnahmen zur Volksgesundheit notwendig macht. Der Staat solle mit gesetzgeberischen Mitteln die Verbreitung negativer Erbanlagen in der Bevölkerung verhindern. Dazu gehören Maßnahmen gegen erblich bedingte Erkrankungen ebenso wie gegen genetisch minderwertige Volksgruppen und Rassen. In dieser Logik fragen die AfD-Abgeordneten sowohl nach den (in ihren Augen vorwiegend genetischen und vermeidbaren) Ursache von Behinderungen als auch nach der Zuwanderung von (angeblich inzestuösen) Migranten nach Deutschland.

Die Eugenik wurde in England von Darwinisten entwickelt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste sie Fuß in so unterschiedlichen Ländern wie den USA und Kanada, in der Schweiz, in Skandinavien, der Sowjetunion oder in Japan. Nach dem Krieg wurden die erlassenen Regelungen zur Geburtenkontrolle fast überall wieder aufgehoben. In ihren Verbreitungsländern diente sie dazu, Minderheiten zu stigmatisieren und die Grundrechte der betroffenen Personen einzuschränken.

In Deutschland haben wir besonderen Grund, ein Wiedererstarken eugenischer Ideen zu verhindern, denn nirgendwo waren deren Folgen so gravierend wie bei uns nach Hitlers Machtergreifung. Schon 1933 führten die Nationalsozialisten ein eugenisch begründetes Sterilisationsgesetz ein (“Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses”). Es sah eine Zwangssterilisation vor und ermöglichte sie überall da, wo man genetische Ursachen vermutete: bei “angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Missbildung, […] schwerem Alkoholismus.” 300.000 Menschen waren davon betroffen, viele starben an den Folgen des Eingriffs.

Nach 1939 gingen die Machthaber einen Schritt weiter: In der Aktion T4 mündete die eugenische Abwertung von “Minderwertigen” in der Vernichtung “lebensunwerten Lebens”. 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen fielen ihr zum Opfer. Nach erheblichen Protesten aus den Kirchen und aus Teilen der Bevölkerung wurde die Aktion 1941 beendet. Die Ermordung war Vorläufer und Experimentierfeld für den Holocaust, den Mord an fünf Millionen europäischer Juden.

Die AfD-Abgeordneten zeigen sich nach den Negativreaktionen empört darüber, dass ihre Anfrage in einen solchen Zusammenhang gestellt wird. Sie suggerieren jedoch eindeutig, dass Behinderung weitgehend vermeidbar sei und stellen als erste Partei im deutschen Bundestag indirekt die Kosten für die Betreuung behinderter Menschen infrage, wenn auch bisher nur für behinderte Kinder von Migranten. Die Sozialverbände und die Kirchen haben recht, wenn sie dem Versuch einer populistischen Stimmungsmache gegenüber Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen entschieden entgegentreten. Wir alle, die wir in der Eingliederungshilfe tätig sind, sollten wachsam bleiben.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auf der Website DER PARITÄTISCHE

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