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Großes Theater Peer Gynt

10 Sep 2017

Großes Theater Peer Gynt

PEER GYNT tritt die Nachfolge von FAUST in Altenschlirf an

Altenschlirf. Über 600 Zuschauer wurden am vergangenen Wochenende Zeuge eines unglaublichen Schauspiels im Wilhelm Meister – Saal der Gemeinschaft Altenschlirf: Zur Aufführung kam „PEER GYNT“ – quasi die Nachfolge des vielbeachteten inklusiven Theaterprojekts „FAUST“ im Jahr 2015. Reinhard Kaul, Leiter der Theaterwerkstatt Melchiorsgrund, erzählt zur Einstimmung die Entstehungsgeschichte des Projekts: Bei „FAUST“ waren 10 Menschen der Theaterwerkstatt beteiligt und über einen Zeitraum von fast zwei Jahren waren bei der intensiven Theaterarbeit viele Freundschaften und inspirierende Begegnungen zwischen Teilnehmern aus Melchiorsgrund, der Gemeinschaft Altenschlirf und Menschen der umliegenden Ortschaften entstanden. Im Herbst 2015, unmittelbar nach der letzten Aufführung des FAUST, tauchte die wehmütige Frage auf, ob nun alles endgültig vorbei sei und vereinzelt flossen Tränen. Da gaben sich einige Akteure das Versprechen, sich für irgendeine Form der Fortsetzung einzusetzen. Almut König, Theaterpädagogin und Regisseurin aus Altenschlirf und Reinhard Kaul aus Melchiorsgrund verständigten sich zwei Monat später auf „PEER GYNT“ als Nachfolgeprojekt. Thematisch passend, denn nicht umsonst wird dieser auch als „nordischer Faust“ bezeichnet. Diesmal sollte die Projektleitung jedoch bei Melchiorsgrund liegen, da es nicht realistisch erschien, nach einem Kraftakt wie „FAUST“, den Menschen der Gemeinschaft Altenschlirf nahtlos den nächsten Drahtseilakt zuzumuten.
In einer Reihe von Workshops in Melchiorsgrund, Werkaufführungen in Hopfgarten und Altenschlirf und Exkursionen in die Schweiz entstand unter der Leitung der Berliner Schauspielerin und Regisseurin Edelgard Hansen in knapp zwei Jahren diese mitreißende Inszenierung.

Eine große Palette genialer Einfälle formten diesen Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis. Angefangen bei dem Konzept, eine biographische Erzählung von vier Peers in den unterschiedlichen Lebensaltern zu verkörpern und dies quasi mit einem Paukenschlag zu Beginn der Aufführung klarzustellen, über das originelle Bühnenkonzept von Nicola Sczersputowski, bestehend aus einem Boot und sechs beweglichen Elementen, die je nach Anordnung und Korrespondenz mit dem Licht-Farbkonzept Bergwelt, Fjorde, Aases Stube, Wüste, Ozean und Gespensterwelt erscheinen ließen und meist von den Schauspielern selbst bewegt wurden, bis hin zum breitgefächerten Musikkonzept aus Zitaten von Edvard Griegs Suiten und eigenen Kompositionen. Immer wieder waren es auch die teils konterkarierenden oder überzeichnenden Soundeffekte, die die ohnehin starken Bilder zusätzlich würzten und den Szenen die ein- oder andere überraschende Wendung ermöglichten. So entstand Dramatische Dichtung im besten Sinne – eine sagenhafte Verdichtung des üblicherweise fünfstündigen Stücks zu einer wahren Bilderflut in verträglichen zweieinhalb Stunden Spielzeit.

Die Gratwanderung einer biographischen Skizze zwischen gnadenloser Selbstsucht und aufrichtiger Selbstsuche wirkte zu jeder Zeit kurzweilig und kompakt. Immer wieder wurde der Tiefgang, da wo er drohte zu schwer und zermürbend zu werden, durch humorige Einfälle aufgelockert, besonders im Mittelteil, dem „Weltenkaisertum“ des Protagonisten. In gelöster Stimmung nahmen die Zuschauer schließlich den Leidensweg Peers und die oft so diffizile Schlussszene seiner Heimkehr zu Solveig auf. Durch die Leichtigkeit und tatsächliche Jugendlichkeit der Protagonistin, sowie ihrer reinen Singstimme, ereignete sich dies ohne jede Form von Pathos oder Resignation. Die Antwort auf Peer Gynts Frage, wo er all die Zeit über war, von Solveig kurz vor seinem Tod mit „die Antwort ist leicht: In meinem Hoffen, in meinem Glauben, in meinem Lieben“ beantwortet zu bekommen – in dieser Inszenierung kam es glaubhaft rüber und nicht wenige Zuschauer berührte die Schlussszene zu Tränen.

Stehende Ovationen belohnten die Schauspieler für ihr „Meisterstück“ und eines ist nun gesichert: FAUST ist kein Einzelphänomen geblieben. Auch wenn PEER GYNT von der Anzahl der Mitwirkenden her deutlich kleiner war als FAUST – das Resultat steht diesem in puncto Qualität und mitmenschlicher Strahlkraft in keiner Weiser nach. Ein Ehepaar, extra aus Gütersloh angereist, drückte es so aus: Wir waren in den letzten Jahren in mehreren Peer Gynt Aufführungen im „großen“ Theater und sind jedes Mal gelangweilt rausgegangen – heute Abend sind wir so begeistert, dass wir sogar das Stück nochmal lesen wollen. – Ein schönes Kompliment für die Teilnehmer und ihr Kunststück– man kann nur gespannt sein, was ihnen als nächstes einfällt!

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