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Die Karwoche nimmt in unserer Gemeinschaft eine besondere Stellung ein. Wir treffen uns täglich, um gemeinsam den Weg bis zum Auferstehungsfest am Ostersonntag nachzuvollziehen.
Von Tobias Raedler
Neben der Pflege aller religiösen Jahresfeste kommt dem Osterfest in der Gemeinschaft eine besondere Bedeutung zu. Die Überwindung der Todeskräfte durch die Opfertat Christi, die Überwindung der Erstarrung in der Materie durch die liebevolle Hinwendung an den Nächsten – dies sind nicht nur Ideale der Gemeinschaft Altenschlirf, sondern Herausforderungen, vor denen die gesamte Menschheit heute steht. Aber wie tritt dieses Menschheitsereignis in unsere Wahrnehmung? Wie bleibt es nicht bloß gesprochenes Wort, wie kommen wir in ein Erleben?
Wie kein anderes der Jahresfeste ist Ostern von der kosmischen Konstellation geprägt: Ostersonntag ist am ersten Sonntag, der auf den ersten Vollmond nach dem Frühlingsanfang folgt. So liegt es nahe, sich dieser kosmischen Kräfte in Vorbereitung auf das Auferstehungsfest in besonderer Weise zu widmen. Das ganz Jahr über begleiten uns die sieben Wochentage im Wochenlauf. Die Karwoche hebt sich jedes Jahr davon ab und wir nutzen diese in der Gemeinschaft, um zu erleben, wie die sieben Stufen des christlichen Osterereignis zu den kosmischen Kräften der Planeten in Beziehung stehen. Da sind auf der einen Seite der Einzug in Jerusalem, die Reinigung des Tempels, die Streitgespräche, die Salbung, das Abendmahl, die Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung. Diese beziehen wir auf die Lichtkräfte der Sonne, die Spiegelkräfte des Mondes, die Energie des Mars, die vermittelnde Kraft des Merkur, die Weisheit des Jupiter, die Empfänglichkeit der Venus und schließlich die Ernsthaftigkeit des Saturn.
Gemeinsame Arbeit am Evangelium
Beginnend mit dem Palmsonntag beginnen wir jeden Morgen mit einer gemeinsamen Andacht. Den Coronamaßnahmen entsprechend haben wir uns in diesem Jahr häuserweise draußen getroffen: Die Altenschlirfer Häuser und Werkstätten auf dem Dorfplatz, die Stockhäuser im Innenhof des Schlosses. Die Karwoche wird auch die „Stille Woche“ genannt und das Schweigen, das Nach-innen-Lauschen ist dabei eine wohl gepflegte Tugend. Gemeinsam hören wir die Evangelienstelle des Tages und besinnen uns auf die kosmische Qualität des jeweiligen Wochentages. Wenn dann die Arbeit in den Werkstätten beginnt, laden die Hausverantwortlichen zu einer gemeinsamen Studienarbeit ein, die die kosmischen Qualitäten des jeweiligen Tages vertieft – in diesem Jahr am Thema der sogenannten „Planetenbäume“, die sich in den Baumsprüchen wieder finden und die in einigen Werkstätten das ganze Jahr über gepflegt werden (mehr dazu hier in einem aktuellen Bericht). Abends werden die erarbeiteten Qualitäten dann Gegenstand der Hausgespräche mit den Bewohner:innen – alle sonstigen Aktivitäten wie Abendkurse, Gesprächsabende usw. ruhen in dieser Woche.
Am Gründonnerstag wird das letzte Abendmahl, das Christus vor seinem Martyrium mit seinen Jüngern hielt, nachvollzogen. Es ist eines der beeindruckendsten Erlebnisse, wenn sich die ganze Gemeinschaft schweigend (!) im Saal versammelt und gemeinsam das Brot und den Wein (Traubensaft) zu sich nimmt – in höchster Andacht und Feierlichkeit. Die Erwartung der Ereignisse des Karfreitag wird dabei für jeden spürbar. In Coronazeiten ist dieses Erlebnis nur in reduzierter Form erlebbar: Nach einer gemeinsamen Andacht auf dem Dorfplatz oder im Park zieht jede Hausgemeinschaft schweigend in ihr Haus und nimmt dort das stille Mahl zu sich; eine Tradition, die sich im Jahreslauf jeden Samstag beim Evangelienabend wiederfindet.
Am Karfreitag treffen sich die Hausgemeinschaften zur Sterbestunde Christi und hören gemeinsam aus dem Evangelium von dem Ereignis auf Golgatha. Der Weg, den Christus bis hier nahm und der durch die Woche mitvollzogen wurde, nimmt dem Geschehen seine äußerliche Dramatik und lässt ein Verständnis für die Bedeutsamkeit dieses gewaltigen Schrittes in den Seelen der Miterlebenden reifen. Dem Tod wird der Schrecken genommen – Christus überwindet den Tod. Ein Motiv, auf das wir immer dann zurückgreifen, wenn ein Mensch in der Gemeinschaft stirbt und wir uns auf dieser Welt von ihm verabschieden müssen.
Sonnenaufgang und Oster-Morgenfeier
Welche Freude dann für die Menschen, die am Ostersonntag früh aufstehen und sich gemeinsam auf einer der Anhöhen um die Gemeinschaft begeben, um das Aufgehen der Sonne zu erleben. Wenn sich rotglühend die Sonne über den Horizont schiebt, die ersten Wärmestrahlen im Gesicht zu spüren sind und das Lied ertönt: „Christ ist erstanden, von der Marter alle …“ – dann IST Auferstehung, dann erlebt die Seele die besondere Erlöserkraft, die vom Osterfest ausgeht. In der gemeinsamen Oster-Morgenfeier kulminiert der gemeinsame Gang durch die Karwoche und Ostern wird zum Fest. Wie schön, nach Johanni und Michaeli im letzten Jahr wieder eine gemeinsame Morgenfeier mit allen Bewohner:innen im Schlosspark erleben zu dürfen – wo wir uns sonst für die Morgenfeiern pandemiebedingt immer in Gruppen aufteilen müssen! Zu jedem Fest gehört ein gutes Essen, und alle freuen sich auf das Osterbrunch nach der Oster-Morgenfeier. Nun sind die Tische wieder voll gedeckt. Dinge, auf die man in der vorangegangenen Fastenzeit vielleicht verzichtet hat, sind wieder da und können mit besonderem Genus wiederentdeckt werden.
Wir sehen: Ostern ist nicht ein bloßer Festtag – Ostern ist ein Prozess, ein Weg, der durch verschiedene Stadien führt. Um das Osterereignis seelisch mitvollziehen zu können und nicht bloß im Abstrakten zu lassen (dies lehnen heute zurecht die meisten Menschen ab) ist es ein besonderes Geschenk, dies in Gemeinschaft gemeinsam erleben, gemeinsam durchschreiten zu dürfen. So entstehen die notwendigen Bewusstseinskräfte, die alleine so viel schwieriger zu erringen sind als in Gemeinschaft! Hier merkt man, dass zwei mehr ist als zweimal eins. Oder wer unter uns ist, „wenn zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind“. Die Christus-Kraft wird hier zur gemeinschaftsbildenden Kraft. Dies mag als Beispiel dienen, wie Religiosität in der Gemeinschaft lebt: nicht als bloße, verblassende Tradition, sondern als tatsächlicher Kraftquell – als Entwicklungsimpuls für jeden Einzelnen und damit für die ganze Gemeinschaft.